11.04.2021
Nach der Abmachung mit dem Nachbar dürfen seine Hühner auf unserem Grundstuck freilaufen. Dafür bekommen wir eine Packung Eier pro Woche umsonst. Im Winter habe ich die Hühner kaum gesehen, sie saßen alle drin im Nachbars Hühnerstall. Jetzt laufen sie wieder draußen, an der frischen Luft, ich habe sie kaum erkannt. Die ganze Hierarchie ist durcheinandergekommen. Der alte weiße Hahn hat den Winter nicht überlebt und wurde geschlachtet. Zwei neue Jungen haben sich als progressive Bestien erwiesen. Sie hatten anscheinend beschlossen, den ganzen Hühnerstall gendergerecht umzugestalten. Nach der alten Ordnung liefen die Hühner geordnet dem Hahn hinterher, der konnte mit innen machen was er wollte. Die neuen Gockel haben nichts mit der Vermehrung im Sinn, die Hühner ignorieren sie auch weitgehend, sie legen ihre Eier wann und wo sie wollen, die anderen tun so, als würden sie an ihrer Existenz als Hühnchen zweifeln und wollen gar nicht mit der Eierproduktion in Verbindung gebracht werden. Mein Nachbar nennt sie sexistisch „divers“.
Diese diversen haben im Hühnerstall eine extra Stange für sich erobert, sie wollen neben den anderen nicht sitzen. Doch ab und zu legen auch sie und wundern sich, wie das passieren könnte. Die beiden Gockel haben sich zusammengetan, sie laufen die ganze Zeit einander hinterher. Der Nachbar ist ein Mann der alten Ordnung, er kann mit dieser Diversität nichts anfangen.
„Es wird sich schon schaukeln“ klärte ich ihn auf. Nicht umsonst studierte meine Tochter die Gender Studies und hat mir das Buch über den umherirrenden Gender Fluid gegeben. Aus Solidarität mit der neuen gerechteren Welt habe ich dem Nachbar gesagt, ich möchte demnächst nur von den diversen Hühnern die Eier bekommen, auch wenn es länger dauert, denn ihre Eier sind die Eier der Freiheit.